Pandemie in Kenia: Plötzlich standen viele Menschen vor dem Nichts
Als in Kenia im März 2020 die ersten Menschen aufgrund einer Infektion mit dem Coronavirus starben, kam es in Nairobi zu Lockdowns und viele Menschen verloren ihre Arbeit. Vor allem für die Tagelöhner, die in den Slums der Hauptstadt leben, bedeutete diese Situation, dass sie von heute auf morgen nicht mehr wussten, woher sie das Geld nehmen sollten, um ihre Familien zu ernähren.
Von der hochgelegenen Jujaroad aus, einer der vielbefahrensten Straßen Nairobis, erstreckt sich beim Blick ins Tal ein Meer aus Wellblech. Dicht an dicht sind die Hütten an den Hügel gebaut und dort, wo die letzten Behausungen stehen, fließt der Mathare River, der dem Viertel seinen Namen gibt. Es ist kein großer Fluss, eher ein Bach, verdreckt von Unrat und Müll, denn in diesen Teil der Stadt, in dem rund 500.000 Menschen leben, kommen keine Müllwagen. Zwischen den Häusern schlängeln sich schmale, unbefestigte Wege, die bei Regen zu Rutschbahnen werden, vor allem dann, wenn die Fußgänger meist nur Turnschuhe oder Flipflops tragen. Abstand halten, weil eine Pandemie wütet, ist hier nahezu unmöglich. Die Wege sind keinen Meter breit.
Für die Menschen, die in Mathare leben, hat sich das Leben seit Ausbruch der Corona-Pandemie verschlechtert, auch wenn dies kaum möglich schien. In den informellen Siedlungen von Kenias Hauptstadt leben vor allem Tagelöhner; die Menschen, die sich täglich aufs Neue auf die Suche nach einem Job machen, von Tür zu Tür gehen in den Vierteln der Reichen, und darum bitten, die Wäsche waschen zu dürfen, oder andere Tätigkeiten ausüben zu können, für die gerade ein paar Hände gebraucht werden. Doch mit den ersten Lockdowns 2020 brachen diese schlecht bezahlten und unsicheren Einnahmequellen weg. Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber hatten Angst vor Ansteckung und ließen niemanden mehr in ihre Häuser. Von heute auf morgen hatten die Familien keine Einnahmen mehr. Arbeitslosenversicherungen gibt es keine. Das bedeutet: Kein Einkommen, kein Essen.
Verteilung von Lebensmitteln als Überlebenshilfe
„Die Pandemie hat vor allem die Menschen hart getroffen, die schon zuvor wenig besaßen. Sie hatten keine Ersparnisse, auf die sie zurückgreifen könnten. Und so wurde in vielen Haushalten nur noch eine dürftige Mahlzeit täglich auf den Tisch gestellt. Die Menschen in Mathare waren vor der Pandemie arm, aber mit der Pandemie begannen sie buchstäblich zu hungern“, berichtet Martin Schömburg, Büroleiter von Malteser International in Nairobi.
Malteser International begann bereits kurz nach dem Ausbruch der Pandemie im Jahr 2020 damit, Lebensmittel, wie Bohnen und Reis, und Bargeld zu verteilen, um die größte Not für die Allerärmsten zu lindern, so auch für die Familie von Phoebe Archiang. Sie lebt gemeinsam mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in einem Haus, das rund neun Quadratmeter misst. Es gibt keinen Strom, kein fließendes Wasser, keine Toilette, keine Küche, kein Bad. In der kleinen Behausung, für die sie monatlich rund 25 Euro Miete bezahlt, wird auf einem offenen Feuer gekocht, gegessen, gespielt, geschlafen. Ihre Besitztümer haben sie in die Höhe gestapelt, anders ist es auch nicht möglich und auch so ist es kaum vorstellbar, dass hier nachts fünf Menschen schlafen. Als die Lockdowns begannen, verlor Phoebes Mann sein Einkommen und sie wussten nicht mehr, wie sie ihre Kinder ernähren sollten. Gemeinsam mit unserem kenianischen Partner IECE unterstützten wir die Familien in Mathare, die am bedürftigsten waren. Die acht-monatige Tochter von Phoebe war zu Beginn des Jahres 2022 unterernährt und konnte kaum Nahrung bei sich behalten. Neben dem Lebensnotwendigsten bezuschussten wir eine Krankenversicherung für das Mädchen und ermöglichten es der Familie, sie regelmäßig beim Arzt untersuchen zu lassen und Medikamente für sie zu bekommen. In einer Klinik bekam das Mädchen Zusatznahrung, damit es sich von seiner Unterernährung erholen konnte.
Als keine Touristen mehr kamen, hungerten viele Menschen
Um den Menschen in den Slums wie Mathare auch nachhaltig zu helfen, damit sie keinen Hunger leiden müssen, hielt unsere Partnerorganisation IECE Trainings ab. Sie zeigten den Menschen Wege auf, sich selbstständig zu machen. In diesen Schulungen lernten sie, Budgets aufzustellen und Kosten zu kalkulieren. Außerdem erhielten sie ein Startkapital. „Das war eine Chance für viele. Es waren kleine Geschäfte, die die Menschen aufmachten, ein Zimmer, in dem eine Friseurin ihr Geschäft eröffnete, zum Beispiel. Es hat vielen Menschen dabei geholfen, nicht zu hungern“, sagt Schömburg. Außerdem wurden Männer und Frauen in der Herstellung von Seife und Stoffmasken zum Covid-Schutz ausgebildet, die sie dann verkaufen konnten. Dies half nicht nur dabei, die Menschen besser vor Ansteckung zu schützen, sondern verschaffte ihnen auch ein Einkommen.
Den 68-jährigen Timothy Mwanui Wanjiru hatte die Pandemie hart getroffen. Der Witwer lebte in den vergangenen Jahren vom Müll, der aus den Touristenhotels auf der Halde in Korogoche landete. Doch mit den Lockdowns kamen keine Touristinnen und Touristen mehr und auf dem Müll landete nicht mehr genügend zu essen für all die mittellosen Menschen, die durch den Wohlstandsmüll der Reichen überlebten. So wie Timothys Sohn, der als 22-jähriger auf der Müllkippe schläft, damit er keine Ladung der Lastwagen verpasst. Damit Menschen wie Timothy eine Chance hatten, die Lockdowns zu überleben, haben wir ihm monatlich Geld ausgezahlt, damit er sich das Lebensnotwendigste kaufen konnte.
Normalität ist noch immer nicht zurück
Fast drei Jahre nach Beginn der Pandemie sind die wirtschaftlichen Folgen durch Corona noch immer zu spüren, auch wenn die Tagelöhner sich wieder täglich auf die Suche machen, nach Gelegenheiten, etwas Geld zu verdienen. Doch hinzu kommen nun die Inflation, die Preissteigerungen durch den Ukrainekrieg und eine Dürre, die mittlerweile dazu geführt haben, dass rund 4,35 Millionen Menschen in Kenia auf Hilfe angewiesen sind.