„Damals verlor ich fast den Verstand“
Es ist mittlerweile drei Jahre her, dass die Rebellen der Terrormiliz Boko Haram Kulus Dorf überfielen. Die heute 40-Jährige war gerade mit ihrem achten Kind schwanger. Als sie die Terroristen hörte, lief sie einfach los, raus aus dem Dorf, um sich selbst, ihre Kinder und ihr ungeborenes Kind in Sicherheit zu bringen. Während sie durch die Büsche des trockenen Landes lief, wurde ihr Mann direkt neben ihr erschossen. Er starb sofort, vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder. „Damals verlor ich fast den Verstand“, sagt Kulu. 2.000 Menschen kamen bei diesem Überfall in dem Ort Baga ums Leben. Es war einer der größten Anschläge einer terroristischen Vereinigung in Nigeria.
Schon seit neun Jahren kämpft die islamistische Terrormiliz Boko Haram unter anderem für die Einführung der Scharia im Nordosten Nigerias, tötet und entführt Menschen. Was als isolierte Sekte in Nigeria begann, hat sich in den vergangenen Jahren zu einer schwer bewaffneten Oppositionsgruppe entwickelt und bedroht die Sicherheitslage der gesamten Tschadseeregion. Mittlerweile hat sich der gewaltsame Konflikt zu einer humanitären Notsituation entwickelt, die die gesamte Region betrifft. Aus Angst vor gewaltsamen Übergriffen fliehen die Menschen aus ihren Dörfern, Felder werden nicht mehr bestellt, es gibt kaum genug zu essen. Jeden Tag kommen Frauen, Kinder und ganze Familien auf der Suche nach Sicherheit in die Camps für Binnenvertriebene in Maiduguri, der Hauptstadt des Bundesstaates Borno im Nordosten des Landes. Mittlerweile sind 17 Millionen Menschen in der gesamten Region um den Tschadsee von dieser Krise betroffen, allein 8,5 Millionen Menschen sind davon in Nigeria auf Humanitäre Hilfe angewiesen. 30.000 Menschen starben in den vergangenen Jahren aufgrund der gewaltsamen Übergriffe.
Depressionen nach Flucht vor Boko Haram
Kulu lief drei Tage lang, bis sie und ihre Kinder das nächste Dorf erreichten. Doch zur Ruhe kamen sie hier nicht. Nach den Strapazen der Flucht verlor Kulu ihr ungeborenes Kind. Und wieder musste sie ihre Kinder nehmen und fliehen, denn auch dieses Dorf wurde von Boko Haram überfallen. Nach vielen Tagen auf der Flucht kam Kulu schließlich in ein Krankenhaus in Maiduguri. Während ihre körperlichen Wunden verheilten, blieben die seelischen bestehen. „Ich war so traurig, dass ich nicht essen konnte, ich konnte nur daran denken, dass mein Mann gestorben war. Als ich einschlief, träumte ich von meinem Mann. Ich sah, wie er in meinen Träumen immer wieder erschossen wurde.“
Kulu spricht heute mit klarer Stimme über ihre Torturen von damals. Es geht ihr mittlerweile sichtlich besser. Dreimal wurde sie in ein Krankenhaus gebracht, weil sie ihre neue Lebenssituation psychisch nicht verkraftete. Doch mit Hilfe ihres Bruders, der sie unterstützte, kam sie langsam wieder auf die Beine. Mittlerweile lebt sie mit ihren sieben Kindern in einer provisorischen Unterkunft im Camp Maidinatu in der Nähe der Stadt Maiduguri. Kulus kleine Unterkunft besteht aus Heu, Schlamm und zerfledderten UNHCR-Planen. Einen Reissack hat sie aufgeschnitten und als Teppich auf dem Boden ausgebreitet. In einer Ecke befindet sich eine kleine Grasmatte zum Schlafen und Sitzen, in einer anderen steht ein Ofen, Töpfe sind daneben gestapelt. Nur selten aber bereitet Kulu hier eine warme Mahlzeit. Die Situation für sie und ihre Kinder ist schwierig, sie haben selten genug Essen für alle.
Wasser und das Notwendigste zum Leben
„Malteser International ist bis heute die einzige Organisation, die mir geholfen hat. Sie gaben mir ein Set mit zwei Wasserkanistern, einer Kindertoilette, Bade- und Wäscheseife, Wasserkocher, ein Seil, Binden, Eimer und eine Taschenlampe. Ich war sehr glücklich darüber und danke Gott, dass er mir jemanden geschickt hat, der mir hilft", sagt Kulu.
Seit August 2017 verteilen wir Hygiene- und andere Gebrauchsgegenstände an die Flüchtlinge im Camp Maidinatu, versorgen die Menschen mit Trinkwasser und bauen Latrinen.
Eines der Bohrlöcher befindet sich in der Nähe von Kulus Hütte. „Das macht mir das Leben leichter. Bevor es die Wasserstelle gab, musste ich über 30 Minuten weit laufen, um Wasser zu holen.“ Jetzt träumt Kulu davon, dass ihre Kinder zur Schule gehen und Geld verdienen können, damit sie es eines Tages besser haben werden. Doch daran ist noch nicht zu denken, zu sehr sind Kulu und ihre Kinder damit beschäftigt, sich um ihr Überleben zu kümmern.
Unterstützt wird das Projekt vom Auswärtigen Amt und der Seliger Gerhard-Stiftung.
(April 2018, Katharina Kiecol)