Reden statt Kämpfen
Zäune um die Grundstücke, die die Bauern im Südsudan bepflanzen, gibt es nur selten im Südsudan. Denn häufig sind die Grundstücke so groß, dass die Kosten für einen Zaun zu hoch wären. Und nicht alle Ziegen lassen sich von den einfachen Dornensträuchern, die zum Beispiel der Schuldirektor einer Grundschule im Juba Distrikt um die Schulgärten aufstellte, zurückhalten. Das führt im Südsudan immer wieder zu Konflikten zwischen Viehhirten und Landwirten und seit einigen Jahren auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Deshalb ist die Arbeit, die wir mit unserer lokalen Partnerorganisation CARDO voranbringen wollen, so wichtig.
Auf den ersten Blick wirkt an der Tokiman Community Primary School in Rejaf Payam alles perfekt. Die Kinder rennen lärmend über den Schulhof, der Unterricht wurde für heute gerade beendet. Doch als unser Kollege Rume William Kenyi an diesem heißen Tag den dunklen Raum des Schulleiters betritt, ist dieser aufgebracht: „Wir brauchen neue Zäune für die Schulgärten! Der Zaun, den wir gebaut haben, nutzt gar nichts. Die Ziegen springen nachts einfach drüber und fressen alles kahl.“
Mathedio Gubek Sanfino ist außer sich. Hinter der Tokiman Community Primary School hat er gemeinsam mit dem Lehrpersonal zwei Grundstücke zu Schulgärten umfunktioniert. Über eine solarbetriebene Pumpe wird das Land bewässert. Eigentlich sollte in der kommenden Woche damit begonnen werden, das Unkraut zu entfernen und das neue Saatgut, das unser Mitarbeiter mitgebracht hat, einzusetzen. Aber so ergebe dies keinen Sinn, meint Herr Sanfino, denn die Ziegen würden alles wieder abfressen, wenn es keinen neuen Zaun gibt. Derzeit umrandet ein provisorischer Zaun aus Dornengestrüpp die Gärten. Zu niedrig, meint Sanfino. Der Zaun sei für die Ziegen kein Hindernis. Auch jetzt stromern dutzende Ziegen über den Schulhof, bleiben vor den Klassenzimmern stehen und stören sich nicht an den lärmenden Kindern.
Viele Menschen verlieren jedes Jahr durch gewaltsame Auseinandersetzungen ihr Leben
Der Konflikt mit den Nachbarn der Schule, die ihre Ziegen frei herumlaufen lassen, steht sinnbildlich dafür, was im gesamten Südsudan immer wieder zu Streit und gewaltsamen Auseinandersetzungen führt: Die einen brauchen das Land, um Landwirtschaft zu betreiben, die anderen benötigen es für ihr Vieh. Oft passiert es, dass Viehzüchter ihre Herde mit mehreren 100 Tieren auf fremdem Land grasen lassen und dabei von Bauern bestellte Felder abgefressen werden. Da es hier um die Lebensgrundlage der Bauern geht, kann die Situation schnell eskalieren. Im Südsudan besitzen mittlerweile viele Menschen Waffen und so kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Jedes Jahr verlieren auf diese Weise viele Menschen ihr Leben.
Orasio Opiyo ist Direktor der südsudanesischen Organisation CARDO, mit der wir seit Mai 2021 zusammenarbeiten. Die Organisation hat sich genau diesem Problem in ihrem Land angenommen: den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Landwirten und Viehhirten. „Früher haben diese beiden Gruppen hier friedlichen zusammengelebt. Aber seitdem der Bürgerkrieg im Jahr 2013 ausgebrochen ist, werden die Konflikte oftmals gewaltsam ausgetragen. Der bewohnbare Raum, der nicht von Dürre oder Überflutungen betroffen ist, wird kleiner und viele Menschen werden auch wegen der Gewalt der rivalisierenden bewaffneten Gruppen aus ihrer Heimat vertrieben und müssen sich in neuen Gegenden niederlassen. Aber dort leben natürlich auch schon andere Südsudanesen und diese Menschen konkurrieren dann plötzlich um Land“, erklärt Opiyo.
Lokale Friedensarbeit bringt Hoffnung
Reden statt Kämpfen, so will CARDO eines der Hauptprobleme des Südsudan lösen. „Wir bringen die Menschen zusammen, sowohl unterschiedliche zivile Gruppen, als auch Politiker. Alle setzen sich an einen Tisch und besprechen die Probleme. Anschließend werden unter anderem Kompensationszahlungen für abgefressene Ernten und getötete Tiere vereinbart. So haben die Südsudanesen früher die Streitigkeiten gelöst und wir helfen ihnen dabei, zu diesen Wurzeln zurückzufinden“, sagt Opiyo. Wichtig hierbei ist es auch, dass die Vereinbarungen in die entlegensten Dörfer übermittelt werden. Dies ist in einem Land wie dem Südsudan mit schlechter Infrastruktur nur schwer möglich. Deshalb haben wir 500 solarbetriebene Radios an Familien in Ortsangabe verteilt.
Noch ist das friedensbildende Projekt, das wir unterstützen, auf die drei südsudanesischen Bundesstaaten Western Bahr el Ghazal, Warrap und Gogrial beschränkt. Aber das soll sich ändern. Wir wollen die Arbeit mit CARDO weiter ausbauen. „Ich habe durchaus Hoffnung für dieses Land, denn die Menschen schaffen es immer wieder, sich etwas Neues aufzubauen. Aber dies wird auf lange Sicht nur funktionieren, wenn es Frieden gibt“, sagt Michael Fuchs, Büroleiter von Malteser International in Wau.
Für den Direktor der Tokiman Community Primary School in Rajaf Payam in der Nähe der Hauptstadt Juba ist klar: Das Einzige, was die beiden Schulgärten vor den Ziegen schützen kann, ist ein höherer Zaun, über den sie nachts nicht mehr springen können. Darum will sich unser Mitarbeiter Rume William Kenyi nun kümmern. Mit der Wasserversorgung, den Latrinen für die Schülerinnen und Schüler und das Lehrpersonal, die wir installiert haben, ist Schuldirektor Sanfino aber durchaus zufrieden. Das möchte er unbedingt noch hinzufügen.
(Januar 2022)