Rohingya-Krise - Ein Jahr nach der Flucht: "Die Mitarbeiter sind trotz all der Armut, die sie täglich sehen, unglaublich motiviert und engagiert"
Rund 680.000 Rohingya flohen im August 2017 innerhalb weniger Wochen vor gewaltsamen Auseinandersetzungen in Myanmar in die Küstenstadt Cox's Bazar in Bangladesch. Ein Jahr später ist der Bedarf an Hilfe weiterhin immens: Das weltweit größte Flüchtlingscamp ist überfüllt, die Unterkünfte und hygienischen Bedingungen sind nach wie vor notdürftig, das Gesundheitssystem ist überlastet. Nun hat die Regenzeit begonnen und erschwert die Situation der Geflüchteten zusätzlich.
Rebekka Toyka, Referentin für Bangladesch, steuert unsere Hilfsprojekte in Cox’s Bazar. Bei der Eröffnung unserer dritten Gesundheitsstation im Juli 2018 war sie vor Ort und konnte sich ein Bild über die Stimmung und Fortschritte im Camp machen. Nach einem Jahr Flüchtlingskrise in Bangladesch berichtet Toyka von ihren Eindrücken und unseren Hilfsprojekten, die wir in Zusammenarbeit mit unserer lokalen Partnerorganisation GK in Cox’s Bazar umsetzen.
Mit welchen Erwartungen sind Sie im Juli erneut nach Cox’s Bazar gereist?
„Ich war zuletzt im Februar 2018 hier und damals war ich sehr schockiert: Es herrschte recht großes Chaos und die Menschen waren nach ihren Erlebnissen größtenteils völlig erschöpft und ausgelaugt. Ich hatte vor meiner zweiten Reise nun gehofft, dass mittlerweile etwas Ruhe eingekehrt ist und so etwas wie Normalität herrscht. So habe ich es nun auch erlebt und das hat mich sehr gefreut. Die Menschen wirken insgesamt weniger angegriffen und mittlerweile gibt es Orte, an denen die Kinder spielen können und manche Geflüchtete dürfen ehrenamtlich arbeiten und sind beschäftigt.
Es hat sich eine eigene Infrastruktur entwickelt, mit kleinen Geschäften und Marktständen. Hier können die Menschen Obst, Spielzeug, Shampoo und sogar Kleidung kaufen. Das Camp hat sich zu einer kleinen Gemeinde entwickelt, wenn auch alles sehr simpel ist. Vor allem die Notunterkünfte der Menschen sind noch immer sehr einfach. Sie bestehen zumeist nur aus Bambuspfählen, über die Plastikplanen gelegt wurden.“
Wo sehen Sie im Augenblick die Herausforderungen für die Menschen im Camp?
„Schockiert hat mich diesmal die Enge, der Dreck und der Gestank im Camp. Es leben viel zu viele Menschen auf zu engem Raum. Hinzukommt, dass es nicht genügend Sanitäreinrichtungen gibt, sondern nur Sammeltoiletten, die von vielen Familien gemeinsam genutzt werden müssen. Dementsprechend sind viele verdreckt und manche funktionieren nicht mehr. Gemeinsam mit unserem lokalen Partner haben wir beschlossen, dass wir unser Aufklärungsprojekt ausweiten werden, bei dem die Menschen über bestimmte Aspekte der Hygiene und Gesundheit aufgeklärt werden, damit hier keine Krankheiten wie Cholera ausbrechen.“
Wie ist ihr Eindruck aus unseren Projekten vor Ort?
„Wir arbeiten im Megacamp in erster Linie im Bereich Gesundheit, Mangelernährung und psychosoziale Unterstützung. Ich habe mich sehr gefreut, dass wir noch eine weitere, unsere dritte Gesundheitsstation eröffnen konnten. Alle Einrichtungen werden von unserer lokalen Partnerorganisation GK betreut. Die Mitarbeiter sind trotz all der Armut, die sie täglich sehen, unglaublich motiviert und engagiert. So etwas habe ich selten erlebt. Das ist beeindruckend! Die neueste Station liegt ganz im Süden des Megacamps. An sechs tagen in der Woche behandeln unsere Mitarbeiter dort täglich bis zu 100 Patienten, hauptsächlich Frauen und Kleinkinder. Wir bieten den Flüchtlingen und den Menschen aus den Gastgemeinden eine Basisgesundheitsversorgung an und untersuchen sie auf Mangel- und Unterernährung.
Damit wir auch die Menschen erreichen, die nicht direkt zu uns kommen, bilden wir Freiwillige aus den Flüchtlingscamps und den umliegenden Gemeinden aus. Wir schulen sie in den unterschiedlichen Bereichen wie Hygiene, Gesundheitsvorsorge und Psychosoziale Unterstützung. Die ehrenamtlichen Helfer besuchen die Flüchtlinge in ihren Unterkünften und können ihr Wissen an die Menschen weitergeben. Mit einem Maßband messen sie zum Beispiel die Oberarme der Menschen und können dann anhand einer Tabelle feststellen, ob jemand unterernährt ist. Wenn dies der Fall ist, schicken sie sie zu uns. In unseren Stationen werden die Menschen dann behandelt und Notfälle an Spezialeinrichtungen verwiesen. Für ihre Arbeit bekommen die Freiwilligen eine Aufwandsentschädigung."
Im Augenblick herrscht Regenzeit in Bangladesch. Inwiefern beeinflusst der starke Regen das Leben der Flüchtlinge?
„Eine unserer Gesundheitsstationen wurde von den ersten Regenfällen stark getroffen und wir mussten den Betrieb für einige Tage unterbrechen. Der Regen hat zwar bisher glücklicherweise noch keine riesigen Unglücke verursacht, sorgt aber natürlich für eine extreme Verschlechterung der ohnehin schon dürftigen hygienischen Bedingungen.
Ich bin mit den Mitarbeitern durch das Camp gegangen und habe zwei Familien besucht, die auf sehr engem Raum zusammenwohnen. Der Gestank dort war schwer zu ertragen. Die Gassen, die Sanitäranlagen, die Bäche und Flüsse werden während der Regenzeit immer wieder überschwemmt und der Müll liegt überall herum. Sie müssen sich das so vorstellen: Die Hütten bestehen im Wesentlichen aus Plastikplanen. Bei Stürmen werden diese leicht weggeweht. Um Platz für die Zelte zu haben, wurden in den vergangenen Monaten viele Bäume abgeholzt. Das große Camp ist auf mehreren Hügeln erbaut und so kommt es immer wieder zu Erdrutschen. Ich hoffe sehr, dass die Stürme und Regenfälle nicht noch stärker werden. Wir sind froh, dass es bislang noch nicht zu einem ganz großen Chaos geführt hat.“
Werden die Flüchtlinge bald in ihre Heimat zurückkehren können?
„Die Regierung von Myanmar hat die Rückkehr der Rohingya zwar zugesichert, diese jedoch an bestimmte Bedingungen geknüpft. So müssen die Flüchtlinge zum Beispiel Papiere vorweisen, die belegen, dass sie seit Generationen in Myanmar gelebt haben. Die meisten Flüchtlinge haben diese Papiere entweder nie besessen oder sie auf Flucht verloren. 1.500 Flüchtlinge wollte Myanmar seit Beginnen dieses Jahres wöchentlich zurücknehmen, doch bisher ist kaum jemand zurückgekehrt. Das liegt auch daran, dass die Menschen erneute Gewalt fürchten. Ich hoffe, dass es bald zu einer Lösung kommt, denn die Verhältnisse im Camp sind bei weitem nicht so, dass die Flüchtlinge hier auf Dauer leben könnten, auch wenn sie sich nach meinem Eindruck eingerichtet haben.
Trotz allem fahre ich mit dem Gefühl zurück, dass es den Menschen hier mittlerweile besser geht und etwas Stabilität und Ruhe eingekehrt ist. Bei meiner Reise habe diesmal zufriedene und gelassene Gesichter gesehen, auch viele lachende Kinder- und Frauengesichter. Das war mir, trotz all der sichtbaren Armut, eine Freude.“
(Juli 2018, Katharina Kiecol)