Vom Wissen zum Wandel: Junge Mädchen und Frauen stärken ihre Gemeinden
Weite und trockene Landstriche und eine sengende Hitze kennzeichnen die Thar-Wüste im Nordwesten Indiens. Niederschläge sind selten, was sie zu einer der lebensfeindlichsten Regionen des Landes macht. Die Menschen sind stark von den extremen klimatischen und geografischen Bedingungen betroffen. Für Mädchen und Frauen kommen weitere Hindernisse hinzu: Ihre Möglichkeiten, aus dem Haus zu kommen, sind äußerst reglementiert. Trotz dieser Herausforderungen haben sich etwa 100 Mädchen im Alter von 15 bis 19 Jahren als Vorreiterinnen für positive Veränderungen in ihren Gemeinden hervorgetan. In Zusammenarbeit mit unserer lokalen Organisation UNNATI (Organisation for Development Education) wurden sie zu Ernährungsberaterinnen und WASH-Beauftragten (Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene) ausgebildet, um ihr wertvolles Wissen an Mädchen und Frauen in ihrem Dorf weiterzugeben.
Darunter die achtzehnjährige Anita Bose, deren ehrenamtliche Arbeit auch für ihre persönliche Entwicklung wichtig ist. „Früher wusste ich nicht, wie man mit Menschen spricht. Durch die Initiative habe ich gelernt, selbstbewusster aufzutreten und habe nun keine Probleme mehr damit, mit und vor anderen zu sprechen“, sagt sie.
Anita betreut vor allem schwangere Frauen, rät ihnen zu verschiedenen medizinischen Vorsorgeuntersuchungen und testet ihre Hämoglobinwerte. Außerdem klärt sie über Hygienepraktiken auf und gibt ihr Know-how an andere Frauen in ihrem Dorf weiter. Indem sie über Hygiene während der Menstruation informiert, spricht Anita ein tabuisiertes Thema an. Lange haben die Frauen Tücher aus synthetischen Stoffen verwendet, die nach Gebrauch weggeworfen wurden. Nun stellen sie wiederverwendbare Binden aus Baumwolle her und fördern so die Nutzung nachhaltiger und gesunder Menstruationsprodukte. Die Aufklärung über Menstruation ist ein wichtiger Schritt, um mit dem gesellschaftlichen Tabu zu brechen.
In erster Linie leistet Anita aber Ernährungsberatung für werdende Mütter und erleichtert ihnen den Zugang zu staatlichen Gesundheitsprogrammen. Aufgrund ihres jungen Alters war es für sie anfangs eine Herausforderung, ernst genommen zu werden. Dank ihrer umfassenden Kenntnisse und ihres Engagements konnte Anita jedoch schnell das Vertrauen der Frauen gewinnen.
Alter ist kein Hindernis
Ina ist eine der Frauen, die während ihrer Schwangerschaft Anitas Beratung in Anspruch nahm. Nachdem ihr Arzt einen normalen Hämoglobinwert festgestellt hatte, testete Anita sie bei ihrem Besuch und stellte fest, dass der Wert sehr niedrig war. Ina war zunächst skeptisch und stellte infrage, ob Anita mehr als ein Arzt wisse. Da ein niedriger Hämoglobinwert eine Risikoschwangerschaft begünstigt, bestand Anita jedoch vehement darauf, dass Ina für einen dritten Test einen staatlichen Gesundheitsdienstleister aufsucht. Der dritte Test ergab tatsächlich einen niedrigen Hämoglobinwert. Dank der Einnahme von Tabletten und einer Ernährungsumstellung verbesserte sich Inas Gesundheitszustand schnell und der Geburt ihres Kindes stand nun nichts mehr im Wege.
Aufgrund dieser und weiterer Erfahrungen gewann Anita mehr Vertrauen und Respekt in ihrer Gemeinde. Insgesamt drei Tage im Monat betreut sie ehrenamtlich Frauen und bietet Familien Ernährungsberatung an.
Obwohl sie die Jüngste unter ihren neun Geschwistern ist, hat Anita das Glück, dass ihre Familie sie bei ihrem ehrenamtlichen Engagement stets unterstützt. Die 18-Jährige absolviert derzeit ihr letztes Schuljahr und möchte später einmal Lehrerin werden. Ihre Entschlossenheit und ihr Engagement sind eine Inspiration für alle und beweisen, dass Alter kein Hindernis ist, um etwas zu verändern.
(Juli 2023)