Ein Lichtblick am Ende der Welt
In Thailand, kurz vor der Grenze zu Myanmar, leben in neun Camps rund 100.000 Flüchtlinge, die vor den anhaltenden Konflikten aus ihrer Heimat geflohen sind. In zwei Camps kümmert sich Malteser International unter anderem um die medizinische Versorgung der Flüchtlinge. Zwei Frauen berichten, wie ihr Leben viele Jahre nach der Flucht aussieht.
Das Reden überlässt Ker Gay gerne den anderen, zum Beispiel ihrer Mutter, die sie, wie so oft, zur Psychologin im Flüchtlingslager begleitet. An diesem Morgen beraten sie gemeinsam, wie sie ihr aus einer depressiven Phase heraushelfen können. Ker ist im 6. Monat schwanger und ihr Mann lebt in den USA. Nur ab und zu besucht er seine Familie in Thailand. Nicht nur ihre chronische Krankheit belastet die 26-Jährige, sondern auch ihre noch immer ungewisse Zukunft. Damit sie sich auf sich und ihr Baby konzentrieren kann, macht Jiruttigun Sinlapasuwan, eine unserer Psychologinnen, zweimal in der Woche mit ihr Entspannungsübungen.
Seit sie vier Jahre alt ist, leidet Ker Gay unter Epilepsie. Damals lebte sie noch in Myanmar. Doch seit Jahrzehnten gibt es dort immer wieder gewaltsame Konflikte, die die Menschen in die Flucht treiben. Vor zehn Jahren kam Ker Gay mit ihrer Mutter nach Thailand. Hier lebt sie nun gemeinsam mit rund 10.000 anderen Menschen in einem Flüchtlingscamp. „Für viele Flüchtlinge ist ihre ungewisse Zukunft auf der einen Seite und die erzwungene Tatenlosigkeit auf der anderen sehr belastend. Die Menschen dürfen nur im Camp bleiben und nicht arbeiten. Wir haben hier rund 150 Flüchtlinge als sogenannte Volunteers für unsere Gesundheitseinrichtungen ausgebildet. Das hilft den Angestellten weiter, weil sie sich etwas dazu verdienen können. Für die Patienten ist ebenfalls ein Vorteil, dass das Klinikpersonal ihre Sprache spricht und sie versteht“, erklärt Kai Pohlmann, Programm-Manager für Thailand.
"Als Hebamme kann ich etwas von dem zurückgeben, was ich bekam"
Ker Gay wird im Camp von unseren Mitarbeitern nicht nur psychologisch, sondern auch medizinisch betreut. Seit die junge Frau zum zweiten Mal schwanger ist, besucht sie regelmäßig die Geburtsklinik. Dort arbeiten Flüchtlinge, die zuvor als Hebammen und medizinisches Personal ausgebildet wurden. Eine der Hebammen ist Naw Htoo Htoo Say. An die Zeit, als sie noch in Myanmar lebte, kann sie sich noch genau erinnern. Vor allem daran, wie ihr Vater ermordet und ihr Bruder vor ihren Augen erschossen wurde. Auch nach so vielen Jahren bringen sie diese Bilder noch immer zum Weinen. Aber sie ist auch dankbar, dass ihre Mutter und sie überlebt haben und im Camp in Sicherheit sind. „Als Hebamme kann ich der Gemeinschaft etwas von dem zurückgeben, was ich selbst als Unterstützung bekommen habe“, sagt Naw Htoo Htoo Say.
„Ich habe so vieles gelernt, seit ich als Hebamme arbeite: wie die Schwangeren sich fühlen, wie ich ihr Leben verbessern kann und ihnen bei der Geburt helfe, damit sie ein gesundes Baby zur Welt bringen.“
Ker Gay träumt davon, dass sie bald, wenn ihr Kind zur Welt gekommen ist, ihrem Mann in die USA folgen kann. Und wovon träumt Naw Htoo Htoo Say? Davon, noch vielen Babys dabei zu helfen, gesund auf die Welt zu kommen.
25. Oktober 2017, Katharina Kiecol