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Interview: "Dass Mossul offiziell befreit ist hießt nicht, dass die Stadt nun sicher ist"

Stefan Jansen ist 34 Jahre alt und Länderkoordinator von Malteser International im Irak. Gemeinsam mit seinem Team koordiniert er die Gesundheitsprojekte von Malteser International im Norden des Landes. Dort stellen wir Nothilfe und medizinische Grundversorgung für die Geflüchteten aus Mossul und den umliegenden Städten und Dörfern bereit. In der Nachbarregion Tal Afar haben wir Nothilfegüter wie Matratzen, Hygieneartikel, Handtücher und Solarlampen verteilt. Außerdem betreiben wir zwei weitere mobile medizinische Einheiten, um Kranken und Verwundeten zu helfen. Das Wüstengebiet ist teilweise noch vom sogenannten Islamischen Staat (IS) gehalten. Temperaturen erreichen derzeit bis zu 46 Grad. Eine hohe Anzahl von unterernährten Kindern lebt in den neu befreiten Regionen und viele Menschen dort haben seit Jahren keinen Zugang mehr zur medizinischen Versorgung. Zudem ist die Infrastruktur der Region vom IS zerstört.

Wie ist die aktuelle Situation?

Am 9. Juli 2017 hat der irakische Premierminister Haider Al-Abadi offiziell die Rückeroberung Mossuls erklärt. Dabei ist wichtig zu wissen, dass es sich bei den Kräften, die die Rückeroberung gemeistert haben, um eine Koalition aus verschiedenen Sicherheitskräften handelt. Die irakische Armee wurde am Boden von verschiedenen Milizen und in der Luft von internationalen Kräften unterstützt. Dass Mossul offiziell befreit ist heißt jedoch noch nicht, dass die Stadt nun sicher ist. Hier und da gibt es vor allem im Westen der Stadt noch Kampfhandlungen und darüber hinaus hält der IS weitere Gebiete im Irak. Somit ist der IS militärisch im Irak noch nicht besiegt.

Woran können Sie selbst merken, dass die Stadt Mossul befreit ist? Wie sieht das praktisch aus?

Natürlich sind die Medien im Irak voll von Meldungen über die Rückeroberung. Ich merke allerdings weder ein Aufatmen, noch spüre ich eine Hoffnung darauf, dass ein Stück weit Normalität in die Region zurückkehrt. Die Situation hier ist so komplex, sodass allein die Befreiung Mossuls nicht unbedingt eine rosige Zukunft für den Norden des Iraks verspricht. Wir sehen deshalb auch keine großen Veränderungen vor Ort. Die Sicherheitsbestimmungen haben sich nicht geändert, es gibt keine große Erleichterung oder Siegesparaden. Es herrscht weiterhin Krieg im Land.

Wie geht es den Menschen in Mossul? Können sie nun zurückkehren?

Zunächst ist zu sagen, dass viele Menschen nicht aus Mossul fliehen konnten. Diejenigen aber, die das Glück hatten, aus der Stadt fliehen zu können, sind in Camps untergebracht worden. Dort übernehmen wir, gemeinsam mit anderen Organisationen, die Versorgung der Menschen. So trägt Malteser International dazu bei, die Gesundheitsversorgung in den Camps zu verbessern. Insgesamt sind ca. 900.000 Menschen aus der gesamten Region geflüchtet. Jedoch sind bereits 220.000 Menschen in die befreiten Gebiete zurückgekehrt – vor allem in jene östlich des Tigris Flusses. 

Wie zerstört ist die Stadt? Können Sie sich nun selbst vor Ort ein Bild von der Lage machen?

Die Stadt selbst ist in ihrer Grundsubstanz zerstört. Viele Gebäude sind einsturzgefährdet, die Infrastruktur mehr oder weniger komplett zerstört. Es mangelt an allem, angefangen beim Essen, über Wasser, bis hin zu einer ordentlichen Gesundheitsversorgung. Wir sind im östlichen Teil Ninawas aktiv und dort ist die Lage relativ sicher.


Wie konnten wir die Menschen bisher unterstützen?

Vor allem im Bereich der Gesundheitsversorgung. Zusätzlichen haben wir Hilfspakete zur Deckung des Grundbedarfs wie Abdeckplanen, Bettwäsche, Matratzen, Küchenartikel, Solarlampen, Wasserkanister und Hygieneartikel verteilt.

Wie werden wir unsere Hilfe nun ausbauen?

Neben der weiteren Nothilfeversorgung durch Hilfspakete ist ein weiterer Ausbau der Gesundheitsversorgung geplant. Außerdem setzen wir unsere Projekte im Bereich der primären Gesundheitsversorgung für Binnenvertriebene und die bedürftige lokale Bevölkerung weiter um – da wir davon ausgehen, dass die Menschen unsere Hilfe längerfristig benötigen.

Außerdem wollen wir sowohl die lokale Bevölkerung als auch die Rückkehrer ausbilden, damit sie sich eine Grundlage für ein neues Leben aufbauen können. Zusätzlich investieren wir in einkommensschaffende Maßnahmen. Wir sehen auch einen großen Bedarf der Ausweitung unserer Arbeit im Bereich psychosozialer Unterstützung von insbesondere kriegstraumatisierten Frauen.

Kehrt nun Frieden ein in die Region?

Die Sicherheitssituation im Land ist komplex und von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Bis es zu einer Aussöhnung zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen kommt ist es noch ein sehr langer Weg. Die Unabhängigkeitsbestrebungen der autonomen Region Kurdistan im Norden, gepaart mit der Missgunst einzelner arabischer Gruppen untereinander, verspricht jedoch keine friedliche Lösung auf Dauer. Wir befürchten eine sehr volatile Sicherheitssituation im Irak und speziell im Norden, auch nachdem der IS militärisch besiegt wurde.

Was ist mit den Regionen wie Tal Afar, die noch nicht vom IS befreit sind? Wie können wir dort arbeiten?

Von Erbil aus (Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan) unterstützen wir Vertriebene in diesem Gebiet, jedoch in einem sicheren Abstand zu den Kampfhandlungen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Tal Afar militärisch besiegt ist. Nur unter größeren Anstrengungen und unter Mithilfe der Sicherheitskräfte, können wir in diesen Gebieten arbeiten. Um Ihnen eine Vorstellung zu geben: Von Erbil aus dauert eine Fahrt aufgrund der schlechten Straßenverhältnisse und den vielen militärischen Checkpoints ca. acht bis zehn Stunden. Dabei ist die Strecke nur 160 km lang.

Was bedeutet die Befreiung Mossuls für den Kampf gegen den IS insgesamt? Wie stark ist der IS noch?

Der IS ist weiterhin im Irak aktiv und hat noch weitere Landesteile im Westen, die an Syrien angrenzen, unter seiner Kontrolle. Der IS ist definitiv geschwächt, weshalb er unter Umständen noch gefährlicher ist. Ich rechne mit vermehrten Selbstmordanschlägen in ruhigeren Gegenden. Insgesamt ist es noch ein langer Weg, bis der IS im Irak und in Syrien besiegt sein wird, wobei dies nur ein militärischer Sieg wäre. Die Indoktrinierung des vom IS verklärten Weltbildes wird sicher in den Köpfen einiger weiterleben.

Wie sehen jetzt unsere nächsten Schritte aus, um den Menschen zu helfen?

Als humanitäre Nichtregierungsorganisation können wir durch gute Kooperation und Abstimmung mit Partnern, wie den Vereinten Nationen, anderen Organisationen und den kurdischen/irakischen Behörden, zusammenarbeiten. Wir sehen uns als Teil eines Ganzen. Durch diese Abstimmung planen wir unsere weiteren Schritte im Bereich der Nothilfeversorgung und zu einem späteren Zeitpunkt den Übergang in den Wiederaufbau von Basisgesundheitsstrukturen wie primärer Gesundheitszentren.

Erstellt: 19.07.207

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