Corona-Krise als Katalysator für Lokalisierung der humanitären Hilfe
In der Pandemie sind es insbesondere lokale Akteure, die die Arbeit für Menschen in Not aufrechterhalten. Ein Blick in die Region Asien zeigt, wie sich das System der humanitären Hilfe weltweit verändert.
Als der Ausbruch des Coronavirus zur Pandemie erklärt wurde, handelten viele Regierungen schnell: „Die meisten unserer Einsatzländer haben mit einem konsequenten Lockdown den Zusammenbruch ihrer ohnehin nicht besonders stark aufgestellten Gesundheitssysteme verhindern können“, berichtet Cordula Wasser, Leiterin der Regionalabteilung Asien bei Malteser International. Es ist die ökonomische Katastrophe in Folge der Pandemie, die insbesondere die Menschen hart trifft, die ohnehin wenig zum Leben haben. „Wir wollten die Betroffenen in unseren Projektregionen in keinem Fall in dieser Situation allein lassen“, so Wasser. Während viele Organisationen im Zuge der regionalen Lockdowns ihre Programme einstellen mussten, konnte die Arbeit von Malteser International fortgeführt werden – dank starker lokaler Strukturen und nationaler Partnerorganisationen.
Frühzeitiger Aufbau lokaler Kapazitäten sichert Hilfe in der Pandemie
Wir engagieren uns – nicht erst seitdem die Lokalisierung der humanitären Hilfe als eines der zentralen Zukunftsthemen beim ersten humanitären Weltgipfel im Jahr 2016 in Istanbul festgelegt wurde – für die Stärkung lokaler Akteure. Gemeinsam mit der Welthungerhilfe, Caritas International und der Diakonie Katastrophenhilfe unterstützen wir in einem gemeinsamen, vom Auswärtigen Amt geförderten Lokalisierungsprogramm (ToGETHER!) insgesamt acht Länder und 40 lokale Partnerorganisationen beim Aufbau von Kapazitäten in den Bereichen Nothilfe, Krisenprävention, in der Koordinierung und Finanzierung ihrer Arbeit sowie in der Vertretung ihrer Interessen. Ziel des Programms ist es, die Lokalisierung der humanitären Hilfe in den teilnehmenden Ländern – für Malteser International sind dies Myanmar und Bangladesch – in die Praxis umzusetzen.
Wie ein Katalysator hat die Corona-Krise diese ohnehin weltweit fortschreitende Entwicklung nun beschleunigt: Nationale Organisationen sind nach großen Katastrophen die ersten, die vor Ort Hilfe leisten können und auch während der Pandemie haben sie eine wichtige Rolle gespielt. In vielen Regionen konnten internationale Expertinnen und Experten sowie Nichtregierungsorganisationen während der lokalen Lockdowns nicht mehr reisen und operativ tätig sein. Lokale Akteure haben den Zugang zu den betroffenen Menschen aufrechterhalten und teilweise überhaupt erst möglich gemacht.
Lokale Partnerorganisation führt Arbeit in Bangladesch fort
Einer der Brennpunkte der Region sind die Flüchtlingscamps in Ukiya und Teknaf im Cox´s Bazar Distrikt in Bangladesch. Hier leben seit ihrer Flucht aus Myanmar im Sommer 2017 mehr als 890.000 Menschen der muslimischen Minderheit der Rohingya unter schwierigsten Bedingungen auf engstem Raum. Oft teilen sich bis zu zwölf Personen eine Unterkunft, es fehlt sauberes Trinkwasser, die hygienischen Zustände sind kritisch – eigentlich ein idealer Nährboden für die Verbreitung des Coronavirus. Mitte Mai 2020 wurden die ersten Fälle in den Flüchtlingscamps gemeldet.
Über unsere lokale Partnerorganisation Gonoshastaya Kendra (GK) konnten wir unsere Arbeit während des Lockdowns nicht nur fortsetzen, sondern massiv mit Maßnahmen zur Prävention von Covid-19 ausweiten: „Weil die Testmöglichkeiten aufgrund fehlender Labore äußerst limitiert sind, sind präventive Maßnahmen umso wichtiger. Wir haben daher Gesundheitseinrichtungen mit Medikamenten, Schutzausrüstung, Desinfektionsmitteln und weiterem Material ausgestattet, Handwaschstationen installiert, Isolierstationen eingerichtet, Gesundheitspersonal geschult und zahlreiche Aufklärungsmaßnahmen durchgeführt“, berichtet Nasima Yasmin, Leiterin von GK. Bislang konnten massenhafte Ausbrüche verhindert werden: Bis Ende Dezember wurden nach Angaben von UNHCR insgesamt 366 Fälle in den Camps bestätigt, zehn Geflüchtete starben.
Starke Programme dank starker lokaler Strukturen
Wir führen die Lokalisierung der Hilfe auch in der eigenen Organisation fort: Wo immer möglich, werden offene Stellen mit nationalen Bewerberinnen und Bewerbern besetzt und Entscheidungsprozesse in die jeweiligen Standorte verlagert.
Wie in Bangladesch konnte auch in Myanmar und Pakistan die Arbeit an unseren Programmen dank starker lokaler Organisationsstrukturen während der Lockdowns weitergehen. Mit Aufklärungskampagnen zu richtiger Hygiene während der Pandemie und dem Aufbau kommunaler Handwaschstellen, konnten beispielsweise etwa 12.000 Menschen in den Dörfern der Region Sanghar in Pakistan erreicht werden. In Myanmar kamen die Kampagnen mehr als 62.500 Menschen zugute.
Dass Menschen aus den Gemeinden die Aufklärungsarbeit leisten, hilft zusätzlich dabei, die Akzeptanz der Maßnahmen zu erhöhen. Darüber hinaus sind sie oft näher an den Bedarfen der Bevölkerung, kennen den Kontext und die Sprache am besten und können so Menschen besser darin bestärken, sich untereinander zu helfen und eigene Lösungen zu entwickeln. Besonders wichtig ist dies für Bevölkerungsgruppen, die ohnehin auf Hilfe angewiesen sind, wie etwa Menschen mit Behinderungen. In Pakistan verloren viele Familien im Zuge der landesweiten Abriegelung ihre Lebensgrundlage. „Wir konnten mit Bargeld- und Lebensmittelverteilungen, speziell für Familien in denen Menschen mit Behinderungen leben, dabei helfen, die schlimmste Zeit zu überbrücken“, sagt Fayyaz Shah, Länderkoordinator in Pakistan von Malteser International.
Echte Teilhabe für echte Hilfe
Die ökonomischen Auswirkungen der Corona-Pandemie werden noch auf viele Jahre in unseren Einsatzländern zu spüren sein. In einigen Regionen ist die ökonomische Entwicklung um Jahrzehnte zurückgeworfen worden. „Nur mit starken Partnerschaften lassen sich langfristig tragfähige Lösungen für die Menschen erarbeiten. Lokale Akteure spielen dafür eine zentrale Rolle. Sie fordern mit Recht eine gleichberechtige Teilhabe, einen gerechten Anteil an institutionellen Geldern und langfristige Finanzierungen“, sagt Cordula Wasser. Zwar sei der Weg zu gleichberechtigten Partnerschaften auf Augenhöhe zwischen internationalen und lokalen Hilfsorganisationen insbesondere aufgrund der kaum vorhandenen langfristigen Finanzierungsmöglichkeiten nach wie vor weit, aber: „Die humanitäre Hilfe verändert sich, es gibt keinen Weg zurück.“
7 Dimensionen von Lokalisierung, die wir mit unseren Projekten fördern:
1. Qualität der Beziehung: Respektvolle und gleichberechtigte Partnerschaft
2. Partizipation: Größere Beteiligung der betroffenen Bevölkerung
3. Finanzierung: Bessere Qualität der Finanzierung von lokalen Akteuren wie Flexibilität oder Langfristigkeit sowie mehr direkte Finanzierung
4. Kapazitäten: Mehr Unterstützung für nachhaltige institutionelle Kapazitäten lokaler Akteure
5. Koordinationsmechanismen: Größere Präsenz und mehr Einfluss von lokalen Nichtregierungsorganisationen
6. Sichtbarkeit: Sichtbarkeit der Rollen, Beiträge und Leistungen von lokalen Nichtregierungsorganisationen
7. Regelwerk: Beteiligung von lokalen Akteuren in Diskussionen um internationale Standards und Richtlinien
Quelle: VENRO (entwickelt von GMI: Global Mentoring Initiative)