Mit Physiotherapie zu mehr Mobilität, Selbständigkeit und Selbstwertgefühl
Voller Energie tritt der kleine Habib auf dem Fahrrad-Ergometer in die Pedale. Der Sechsjährige „trainiert“ aber nicht in einem Fitnesszentrum, sondern in dem neuen Therapieraum des Rehabilitationskrankenhauses, welches Malteser International in der türkischen Stadt Kilis, drei Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, leitet. Gemeinsam mit seiner Mutter ist Habib aus der Stadt Aleppo in die Türkei geflüchtet. Der Rest seiner Familie ist in Syrien aufs Land geflohen und lebt dort in einem Zelt.
„Am 6. April wurde ich von den Granatsplittern einer Bombe getroffen und mein Bein wurde dabei schwer verletzt“, erzählt er. „Man brachte mich in Aleppo sofort in ein Krankenhaus, wo ich operiert wurde.“ Doch da die Operation nicht erfolgreich war, kam Habib mit seiner Mutter über die Grenze in das staatliche Krankenhaus in Kilis, wo er am 8. April abermals operiert und anschließend zur Nachbehandlung in das Feldkrankenhaus der Malteser verlegt wurde. Anfang Mai kehrte er nach Syrien zurück. Doch nachdem sich seine Gesundheitssituation dort nicht besserte, kam er mit seinen Eltern wieder über die Grenze in die Türkei und wurde am 18. Juni erneut im Rehabilitationskrankenhaus in Kilis aufgenommen.
„Zunächst wollten die Ärzte Habib ein weiteres Mal im staatlichen Krankenhaus operieren“, berichtet Zilal, die als Physiotherapeutin für Malteser International im Feldhospital arbeitet. „Doch unser Physiotherapie-Team war sich ziemlich sicher, ihm alleine mit physiotherapeutischen Anwendungen und ohne eine weitere Operation helfen zu können.“
Seit Anfang August gibt es im Rehabilitationskrankenhaus einen großen neuen Behandlungsraum für Physiotherapie. Hier haben die Patienten genügend Platz und die notwendigen Geräte, um gemeinsam mit Zilal und ihrem Kollegen Mostafa ihre Übungen zu machen und ihre Bewegungsabläufe zu trainieren. Die beiden Physiotherapeuten sind – wie die meisten Mitarbeiter im Rehabilitationskrankenhaus von Malteser International – ebenfalls Flüchtlinge aus Syrien. Von Anfang an arbeitete Mostafa hier im Krankenhaus, zunächst als Krankenpfleger. Da er jedoch auch eine Zusatzausbildung als Physiotherapeut hat und der Bedarf in diesem Bereich sehr groß ist, ist er nun hauptsächlich auf diesem Gebiet tätig und wird seit Mai von Zilal unterstützt. Eine britische Kollegin, die das Team in Kilis zwei Wochen lang verstärkte, schulte die beiden speziell im Hinblick auf die vielen Kriegsverletzungen. Sie beriet die beiden auch bei der Auswahl der Ausstattung für den Physiotherapie-Raum sowie individueller Mobilitätshilfen wie Krücken und Rollstühle.
„Wenn wir die Patienten nicht mehr vollständig heilen können, versuchen wir immer, ein Maximum an Mobilität und Selbständigkeit wiederherzustellen, um ihnen auch wieder mehr Selbstwertgefühl zu geben.“
Zilal und Mostafa betreuen derzeit durchschnittlich 15 Patienten am Tag. Dabei handelt es sich nicht nur um Patienten aus dem Krankenhaus, sondern es kommen auch Patienten von außerhalb. Die Mehrzahl von ihnen leiden unter Kriegsverletzungen und Behinderungen, hauptsächlich verursacht durch Granatsplitter von Bomben oder durch Schüsse: Querschnittslähmungen, Amputationen, Gehirnverletzungen, Verbrennungen, Brüche mit Gefäßverletzungen, periphere Nervenschädigungen und Brustkorbverletzungen. „Leider müssen wir auch sehr oft Kinder behandeln, die querschnittsgelähmt sind oder denen ein Arm oder Bein amputiert werden musste“, erzählt Zilal. „Wenn wir die Patienten nicht mehr vollständig heilen können, versuchen wir immer, ein Maximum an Mobilität und Selbständigkeit wiederherzustellen, um ihnen auch wieder mehr Selbstwertgefühl zu geben.“ Zudem helfen Psychologen aus dem ebenfalls von Malteser International geleiteten „Community Center“, die Patienten auch mental auf ein Leben mit zum Teil schweren Behinderungen vorzubereiten.
Bei Habib war die Physiotherapie erfolgreich, er brauchte keine dritte Operation. „Als ich ihn zum ersten Mal getroffen habe“, so erinnert sich Zilal, „konnte er nicht alleine gehen. Er brauchte immer ein Gehgestell oder Personen, die ihn beim Gehen stützten.“ Dank vieler geduldiger Übungen wie beispielsweise auf dem Gymnastikball und dem ausdauernden Training auf dem Trimmrad kann Habib inzwischen wieder ohne fremde Hilfe gehen. „Jetzt braucht er nur noch orthopädische Schuhe“, so Zilal. „Denn ein Bein ist zwei Zentimeter kürzer als das andere.“ Dann kann Habib das Rehabilitationskrankenhaus wieder verlassen und wird mit seinen Eltern nach Syrien – und damit auch in sein vom Krieg zerstörtes Land - zurückkehren, falls sein Vater in Kilis keine Arbeit findet.
Zwischenzeitlich hat Malteser International das Rehabilitationskrankenhaus um einen Patiententrakt erweitert. In den insgesamt sieben Zimmern können nun 47 statt bisher 32 Patienten aufgenommen und behandelt werden. Da rund 70 Prozent aller stationär betreuten Patienten auch Physiotherapie benötigen, plant Malteser International, in Kürze noch einen weiteren Physiotherapeuten anzustellen.