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„Die Friedensbotschaften der Religionen stärker ins Spiel bringen“.

Interview mit Sid Johann Peruvemba, stellvertretender Generalsekretär und Programmdirektor von Malteser International (bis 2019)

Am 27. Mai 2015 lud der Souveräne Malteserorden in Genf zu einem Symposium unter dem Titel „Religions together for humanitarian Action“. In Vorbereitung auf den World Humanitarian Summit – eine UN-Initiative zur Diskussion über Verbesserungen in der humanitären Hilfe – diskutierten Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Religionen und humanitärer Organisationen Fragestellungen rund um das Thema Religion im humanitären Kontext. Sid Johann Peruvemba, damaliger Programmdirektor und stellvertretender Generalsekretär bei Malteser International, erläuterte im Interview, warum das Thema eine hohe Relevanz hat.

 

“Der World Humanitarian Summit, der 2016 im Mai in Istanbul stattfindet, wurde auf Initiative des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon ins Leben gerufen, um Verbesserungen in der humanitären Hilfe anzustoßen. Was war der Auslöser dafür?“

Wir sehen, dass die Anzahl der Konflikte und damit die Zahl der Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, dramatisch steigt: Weltweit sind rund 180 Millionen Menschen von gewaltsamen Konflikten betroffen. So hoch war die Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr und die Not der Menschen ist gewaltig. Nach neusten Zahlen sind rund 80 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, um ihr bloßes Leben zu retten. Es ist eine traurige Wahrheit, dass bewaffnete Konflikte auch in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren das Leben vieler Millionen Menschen gefährden werden. Darauf müssen wir vorbereitet sein.

Der Malteserorden und seine Hilfswerke  kümmern sich seit mehr als 900 Jahren weltweit um jene Menschen, die unter den Konflikten leiden. Wir begrüßen daher die Initiative des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon ausdrücklich, über den World Humanitarian Summit die Diskussion und Vernetzung in der humanitären Hilfe voranzubringen.

„Sie sprechen die Geschichte und den Hintergrund des Malteserordens an. In diesem Zusammenhang: Welche Besonderheiten zeichnen Hilfsorganisationen mit einem religiösen Hintergrund aus?“

Auf der fachlichen und technischen Ebene sind die Unterschiede zu Organisationen ohne religiösen Hintergrund kaum vorhanden. Wir alle arbeiten nach den gleichen Qualitätsstandards der humanitären Hilfe und Vorgaben der Geber wie der UN oder der EU, das Fachpersonal verfügt über die gleiche fundierte Ausbildung. Die humanitären Prinzipien der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit bilden die Grundlage der Arbeit.

Ich bin aber davon überzeugt, dass Organisationen mit religiösem Hintergrund sich dennoch von säkularen Organisationen abheben – durch ihre Überzeugungskraft, ihre ureigene Motivation, ihre Reichweite unter den Mitgliedern und auch durch ihre Langlebigkeit. Den Armen und Bedürftigen zu helfen ist tief in den religiösen Lehren verankert, die Malteser nehmen diesen Auftrag nun seit über 900 Jahren wahr. Und ich bin mir sicher, dass sich diese Stärken auch in der operativen Arbeit zeigen. Uns bei Malteser International ist es wichtig, nie den Menschen mit allen seinen unterschiedlichen Bedürfnissen und Nöten aus dem Auge zu verlieren. Wir liefern im Krisenfall nicht nur Material, sondern kümmern uns auch um die körperliche und seelische Gesundheit der Menschen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist unser Einsatz im Erdbebengebiet in Nepal. Natürlich verteilen wir hier auch Nahrungsmittel sowie dringend benötigte Haushaltswaren und Hygieneartikel und kümmern uns um die medizinische Versorgung der Menschen. In den ersten Tagen hat unser Notfallmediziner aber vor allem viele Gespräche mit traumatisierten Menschen geführt.

Hinzu kommt: Oftmals haben religiöse Organisationen einen anderen Zugang zu Konfliktregionen und genießen das Vertrauen der lokalen Gemeinden. Das ist ein wesentlicher Faktor, um der notleidenden Bevölkerung in Krisensituationen schnell und effektiv helfen zu können.

Was können und müssen Hilfsorganisationen mit religiösem Hintergrund denn aus ihrer Sicht  verbessern, um Menschen in Notlagen und Konfliktsituationen zukünftig noch besser zu helfen?

Sie sollten genau die eben erwähnten, ihnen eigenen Stärken noch besser einsetzen. Gerade in bewaffneten Konflikten haben sie eventuell einen „Dialogvorteil“ und so  die Möglichkeit, sich stärker für eine Aussöhnung der Konfliktparteien zu engagieren. Wir müssen zudem den interreligiösen Dialog weiter verstärken und die Zusammenarbeit untereinander verbessern. Dies wird nicht von heute auf morgen geschehen und erfordert zunächst eine gemeinsame Idee und Willen. Der humanitäre Weltgipfel ist eine gute Gelegenheit, diesen Prozess zu starten.

„Viele Konflikte der heutigen Zeit basieren auf Glaubenskonflikten oder nutzen den Glauben zumindest als Vorwand für bewaffnete Auseinandersetzungen. Was antworten Sie Menschen, die argumentieren, es brauche in der heutigen Zeit weniger Glauben in der Welt?“

Ich würde ihnen antworten, dass sie es sich damit zu einfach machen. Es ist sicherlich wahr, dass Kriege seit Jahrtausenden im Namen von Religionen geführt werden. Und Gruppen wie ISIS, al-Shabaab, Boko Haram, die Lord Resistant Army und  Anti-Balaka (um nur einige zu nennen), die weltweit Grausamkeiten begehen, suchen alle ihre Rechtfertigung in ihren religiösen Überzeugungen. Schauen wir aber auf das vergangene Jahrhundert, dann sehen wir allerdings mehr als genügend Beispiele für Massenmorde, die keinen Gott als Rechtfertigung brauchten.

Meine Meinung dazu ist: Kriege sind viel zu komplex, um nur einen einzigen Grund als Auslöser zu nennen. In vielen Fällen soll die Religion vielmehr sehr weltliche Interessen nach Macht und Geld oder territoriale Konflikte legitimieren. Religion ist nur dann gewaltsam, wenn sie von ihren Überzeugungen und moralischen Inhalten losgelöst als Mittel zur Macht genutzt wird. Ich möchte damit die religiösen Elemente, die es zweifelsohne in vielen Konflikten gibt, weder entschuldigen noch verharmlosen. Aber ich denke die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, ob wir weniger Religion in der Welt brauchen, müsste lauten: Im Gegenteil – wir brauchen mehr davon. Und zwar mehr von den friedlichen Aspekten, die uns Religionen lehren: mehr soziale Toleranz, mehr Aussöhnung und Vergebung, mehr Hingabe im Dienst für den Menschen und viel mehr Einsatz jedes Einzelnen für den Frieden.

Interview: Elena Stein (Mai 2015) 

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